counter Longchamps Waterloo
Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht

Bennett

In der Pressemitteilung der SRG vom 22. Januar 2010 wurde die Suspendierung Longchamps wegen seiner Fehlprognose angekündigt. Die SRG wolle der Sache auf den Grund gehen.

In der Pressemitteilung der SRG vom 26. April 2010 wurde Angelegenheit als erledigt erklärt. Longchamp sei wieder in Amt und Würden. Ein Gutachten von Prof. Imhof vom soziologischen Institut der Universität Zürich habe ergeben, dass

"die Diskrepanz zwischen den Resultaten der 2. Minarett-Umfrage und
dem Abstimmungsergebnis mit grosser Wahrscheinlichkeit auf ein
"sozial erwünschtes Verhalten" von Befragten zurückzuführen sei."

In die Umgangssprache übersetzt: Longchamp sei zu blauäugig gewesen. Ein Teil der Befragten habe aus falscher Scham die Unwahrheit gesagt und Longchamp sei darauf hereingefallen. Ferner kündigte die SRG in ihrer Pressemitteilung an, sie hätte vorsorgliche Massnahmen getroffen, damit sie nicht nocheinmal der Leichtgläubigkeit von Longchamp zum Opfer falle.

Der wirkliche Grund für das Umfragen-Fiasko lag anderswo. Die SRG "wünscht" sich Zahlen, die Klartext sprechen. Diesem Wunsch kam er wie immer nach und produzierte auf dubiose Weise 53% Nein und 37% Ja. Aber dieses Stimmungsbild entsprach in keiner Weise der Realität.

Die SRG unterliess es in ihrem Tagesschau-Bericht über die zweite Minarett-Umfrage darauf hinzuweisen, dass lediglich 37% der Befragten eine dezidierte Meinung äusserten, nämlich

15% waren bestimmt dafür und 22% bestimmt dagegen,
aber 58% waren unschlüssig, ob und wie sie stimmen werden.

Stattdessen wurde in der Tagesschau zehn Tage vor der Abstimmung völlig andere Zahlen vorgeführt:

37% Ja, 53% Nein und 10% Unentschlossene

Die unverfälschten Ergebnisse hätten der Öffentlichkeit klar gemacht, dass die Umfrage mit 58% Unschlüssigen eine Maus geboren hatte.

Die SRG-Pressemitteilung und das "Gutachten" von Professor Imhof klingen "wissenschaftlich". Aber relevante Zahlen kommen darin nicht vor. Die dubiose Methode, mit welcher Longchamp die Antworten der Befragten in Ja- und Neinstimmen umwandelte, wird überhaupt nicht erwähnt. Stattdessen wird mit soziologischer Rhetorik operiert. Wenn Longchamp von 58% der Befragten nur vage Information bekam und diese auf abenteuerliche Weise entweder zu Nichtwählern machte oder dem Ja- bzw. Nein-Lager zugschlug, ist es reichlich vermessen und unverfroren, Befragten nachträglich "mit hoher Wahrscheinlichkeit" falsche Angaben zu unterstellen.

Und die Moral von der Geschichte

Claude Longchamp ist kein Baron von Münchhausen, der
sich an den eigenen Haaren aus dem Umfragesumpf ziehen
konnte. Das hat nun Prof. Imhof im Solde der SRG getan.

Die SRG ist im Geschäft "Stories and News" zu vertreiben.
Dazu gehören Resultate von Umfragen vor Abstimmungen.
Da die Resultate nichts sagend sind, werden sie geschönt.
Dabei nimmt die SRG billigend in Kauf, Wähler irrezuführen.

Wer verstehen will, was gespielt wurde, muss die detaillierten Umfrageberichte vom 21. Oktober und 17. November 2010 genau lesen. In den Umfragen war eben NICHT, wie in der Tagesschau mit einer gross eingeblendeten Grafik

suggeriert wurde, die Frage gestellt worden:

"Stimmen Sie mit JA oder NEIN
oder sind sie UNENTSCHLOSSEN?"

Stattdessen wurden zwei Fragen mit je vier Antwortmöglichkeiten gestellt, was theoretisch 16 Antwortkombinationen gab, aus denen dann das Votum der Befragten auf dubiose Weise ermittelt wurde. (Praktisch gab es 25 Kombinationen, weil einige Befragte sich nicht an die Antwortvorgaben hielten und mit "weiss nicht" reagierten oder stumm blieben). Die erste Frage lautete (Grafik 6 auf Seite 9 des Berichtes):

"Werden sie an dieser Abstimmung über die Minarett-Initiave bestimmt teilnehmen, eher teilnehmen, eher nicht teilnehmen oder bestimmt nicht teilnehmen?"

Die zweite lautete (Grafik 8 auf Seite 10 des Berichtes):

"Ganz unabhängig davon, wie sicher Sie sind, dass Sie an dieser Abstimmung teilnehmen würden: Wenn morgen schon über die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" abgestimmt würde, wären Sie dann bestimmt dafür, eher dafür, eher dagegen oder bestimmt dagegen?

Die Antwort, die vielen Befragten auf beiden Fragen zuvorderst auf der Zunge gelegen haben dürfte, nämlich "noch UNENTSCHLOSSEN" wurde durch die Fragestellung explizit ausgeschlossen! Die Befragten wurden durch die Fragestellung in Richtung "dafür" oder "dagegen" gedrängt, obwohl viele von ihnen noch unschlüssig waren, ob und wie sie stimmen würden. Mit diesem Trick sollten "aussagekräftige" Zahlen produziert werden:

Möglichst viele "Ja" und "Nein" und möglichst wenig "Unentschlossene".

Denn ein grosser Anteil an Unentschlossenen kratzt am Lack des Zahlenzaubers und verrät, was die SRG unter dem Deckel halten will: Die Umfrage war für die Katz.

Es ist legitim, diejenigen, die sich dezidiert geäussert haben (und die erste Frage "bestimmt teilnehmen" beantworteten und die zweite Frage mit "bestimmt dafür" oder "bestimmt dagegen"), dem Ja- bzw. Nein-Lager zuzuordnen. Aber das waren gerade mal 15% bzw. 22%. Aber es ist hochgradig spekulativ und manipulativ, Befragten, denen Longchamp mit seiner Suggestivfrage ein "eher dafür" bzw. "eher dagegen" abgeluchst hat, als ernsthafte Ja- bzw. Neinsager in die Umfragebilanz aufzunehmen. (Damit fabrizierte er zusätzlich 3.5% an "Ja-" und 4.5% an "Nein-Stimmen.) Denn damit wird der fundamentale Unterschied zwischen Stimmberechtigten mit dezidierter Meinung und unsicheren Kantonisten wegretouchiert. Diese Unschlüssigen hatten keinen Grund sich an der Urne so zu verhalten, wie sich das Longchamp für seine Umfragebuchhaltung ausgemalt hatte.

Damit kam er auf insgesamt 18.5% Ja- und 26.5% Nein. Wie kommt er von diesen Zahlen auf die von der SRG in Umlauf gesetzten 37% Ja und 53% Nein? Ganz einfach: Er multiplizierte 18.5% und 26.5% mit zwei, was 37% und 53% ergibt! Die Begründnung ist hahnebüchend: Alle andern Befragten seien entweder Nichtwähler oder "Querulanten" (10%).

Nota bene

Demoskopisch wird die Multiplikation mit zwei wie folgt bewerkstelligt: Alle Befragten, welche die erste Frage mit "eher teilnehmen" oder "eher nicht teilnehmen" oder mit "bestimmt nicht teilnehmen" beantworteten, wurden von Longchamp als Nichtwähler eingestuft - unabhängig davon, wie sie zweite Frage beantworteten. Dasselbe Schicksal erlitten die "Querulanten", welche die erste Frage nicht beantworteten oder mit "weiss nicht" reagierten. Insgesamt wurde dadurch exakt die Hälfte der Befragten zu "Nichtwählern" verklärt. Das führte zu einer Halbierung der Bezugsbasis. In der Tagesschau wurden das unterschlagen und einfach von einer 50%-igen Wahlbeteiligung gesprochen. Durch die "Halbierung" der Befragten verdoppelte sich zwangsläufig der Anteil der Ja- und Neinstimmen. Die Details sind in einer Beschwerde an die UBI (Unabhängige Beschwerdeinstanz) ausführlich beschrieben. Die Quittung für die Milchmädchenrechung erteilten die Wähler der SRG und Longchamp an der Urne. Die SRG führte in der Vernehmlassung dazu aus, die Vorhalte beträfen die Befragungstechnik von Longchamp und falle nicht in den Kompetenzbereich der UBI. Diese hätte sich auf programmrechtliche Überprüfung zu beschränken .....

Als Erklärung für sein Fiasko führte Longchamp nach der Abstimmung seine Standardausrede ins Feld, wenn sich die Wähler nicht an seine Prognose halten: Ein Meinungsumschwung kurz vor der Wahl. Das war völlig unglaubwürdig. Die Resulate der ersten und zweiten Umfrage waren praktisch identisch - also blieb die Stimmung einen Monat lang stabil - und dann schwappt plötzlich ein Minarett-Tsunami über die Eidgenossenschaft? Reines Demoskopenlatein! Das konnte selbst die SRG nicht schlucken und verschrieb ihm eine Besinnungspause. Claude Longchamp ist kein Baron von Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Umfragesumpf ziehen konnte. Das hat nun Prof. Imhof im Solde der SRG getan.

Die neue Erklärung aus der Uni Zürich für Longchamps Fiasko: Er war zu blauäugig. Laut Prof. Imhof lag der wahre Grund für das Minarett-Fiasko im "sozial erwünschten Verhalten" eines Teils der Befragten. Diese hätten Longchamp angelogen und er sei zu leichtgläubig gewesen. In ihrer Presseerklärung versprach die SRG, sie wolle ihm in Zukunft vorsorglich über die Schulter schauen. Bei emotional geladenen Abstimmungsvorlagen werde das "sozial erwünschte Antwortverhalten" und das "Meinungsklima" stärker berücksichtigt (lies gewichtet). Da kann man sich nur wundern und sagen: Aller guten Dinge sind drei. Neben Longchamp sind auch die SRG und ihr Professor von Blauäugigkeit befallen.

Die blauäugige Dreieinigkeit lässt unter den Tisch fallen, dass bei Umfragen stets nur eine Minderheit eine feststehende Wahlabsicht bekundet. Die grosse Mehrheit weiss nicht, ob sie zur Urne geht und wie sie stimmen wird. Bei der Minarett-Umfrage war der Anteil der Unschlüssigen mit 58% ausserordentlich niedrig! Normalerweise liegt er zwischen 60% und 70%, wie die folgende Aufstellung von kontraversen Volksabstimmungen zeigt:

Unternehmenssteuer-Reform: 70% Unschlüssige, 12% bestimmt dafür, 7% bestimmt dagegen, 11% erklärte Nichtwähler

Vorgezogenes Rentenalter: 66% Unschlüssige, 12% bestimmt dafür, 12% bestimmt dagegen, 10% erklärte Nichtwähler

Gesundheitsartikel: 65% Unschlüssige, 10% bestimmt dafür, 14% bestimmt dagegen, 11% erklärte Nichtwähler

Biometrischer Pass: 71% Unschlüssige, 12% bestimmt dafür, 10% bestimmt dagegen, 7% erklärte Nichtwähler

Personenfreizügigkeit: 60% Unschlüssige, 17% bestimmt dafür, 15% bestimmt dagegen, 8% erklärte Nichtwähler

Bei diesen Abstimmungen lag Longchamp mit seinen Prognosen meilenweit daneben. Aus seinen 31% Nein für die Unternehmenssteuer-Reform wurden 49,5% an der Urne. Noch knapper entging einem Fiasko beim biometrischen Pass, wo er 37% Nein diagnostizierte, die Wähler aber zu 49.9% (!) Nein sagten. Auch beim Gesundheitsartikel machte ihm das Volk mit 69.5% Nein einen dicken Strich durch seine Prognose von 45% Nein. Beim vorgezogenen Rentenalter wurde Longchamps Schlagzeile "Gleich viele Befürworter wie Gegner" zur Lachnummer, denn das Volk schickte die Vorlage mit rund 60% Nein bachab. Bei der Personenfreizügigkeit erging es ihm ähnlich. Er verkündete "Hart auf Hart". Das Volk nahm es gelassener und sagte mit 59.6% deutlich Ja. Wenn er bei der Minarett-Initiative "nur" 20% daneben lag - statt 37% Ja gab es 57% - dann ist das nichts Neues. Beim Gesundheitsartikel vertippte er sich um 25%. Neu für ihn ist, dass aus einem Prognosen-Nein ein Urnen-Ja wurde, als hätte er Ja mit Nein verwechselt.

Der Grund für Longchamps Fehlprognosen liegt bei den Unschlüssigen, die sich nicht so verhalten, wie er sich das ausgemalt hat. Ein Teil von ihnen wird spekulativ dem Ja- oder Nein-Lager gutgeschrieben, je nachdem wie sie auf die Suggestivfrage reagiert haben. Der grösste Teil wird klammheimlich aus der Umfragebilanz entfernt. Ihre Spuren verlieren sich in der niedrigen Wahlbeteiligung. Die von der SRG ausgewiesen "Unentschlossenen" stellen immer nur die Spitze des Eisberges dar. Das hat ihn schon mehrmals an den Rand einer Katastrophe geführt (Unternehmenssteuer-Reform, biometrischer Pass). Diesmal hat es ihn eiskalt erwischt. Seine Minarett-Umfrage ging als Titanic unter.

Auf diesem Hintergrund entpuppt sich die von Professor Imhof angeführte Begründung (erwünschtes soziales Verhalten eines Teils der Befragten) als soziologische Rhetorik. Wenn man von 58% der Befragten keine klare Information bekommen hat, ist es reichlich vermessen, diesen im Nachhinein "mit grosser Wahrscheinlichkeit" falsche Angaben zu unterstellen.

Die Behautungen der SRG-Pressemitteilung im einzelnen:

1. Laut Prof. Imhof haben SRG SSR und gfs.bern die Befunde der Umfrage durchaus differenziert kommuniziert. So wurde ausdrücklich festgehalten, die Meinungsbildung verlaufe atypisch für eine Initiative und der Ausgang der Abstimmung sei «unsicher».

2. Eine erste externe und unabhängige methodische Überprüfung ergab, dass die Befragung nach international anerkannten Standards und nach bestem heute verfügbaren Wissen und Know-how durchgeführt worden ist.

Fortsetzung folgt

 

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Absturz der SVP? Senkrechtstart der BDP?
Nationalratswahlen 2007

 

Wer verstehen möchte, was Demoskopie leisten kann und was nicht, erfährt dies in der Zusammenfassung "Demoskopischen Knackpunkte"