counter Bundestagswahl
27. September 2009

Erinnerung an das Fiasko 2005
Bennett Merkel

 Aktualisiert.   ARD und ZDF erklären DeutschlandTrend und Politbarometer für demoskopisch bankrott. Die FAZ und der stern ziehen nach

Urologische Demoskopie

Brot und Spiele

Im alten Rom wurde das Volk mit Brot und Spielen bei Laune gehalten. Heute wird das mit Lotto- und Prozentzahlen besorgt. Man denke an Wahlprognosen, wo in den Wochen vor einer Wahl haufenweise Prozentzahlen auf den Markt gekarrt werden. Die FAZ und das schweizerischen Fernsehen übertrumpfen die Konkurrenz punkto Genauigkeit und geben Parteistärken auf Zehntel-Prozente an. Allerdings ohne Feigenblatt auf der Nachkommastelle, weil das deren erotische Ausstrahlungskraft schwächen würde. Es ist eine Binsenwahrheit, dass nur splitternackte Prozentzahlen dem Konsumenten jenen Lustgewinn bescheren, der die Einschaltquote warm bzw. die Auflage über Wasser hält. Informationen über methodenbedingte Umfragefehler bis +/- 5% wären erotisch kontraproduktiv. Das gilt für alle Medien, vom DeutschlandTrend in der ARD über die FAZ, Süddeutsche und stern && RTL bis hin zum Politbarometer im ZDF.

Als gebrannte Kinder weisen Demoskopen flehentlich darauf hin, dass die zur Schau gestellten Zahlen sich bis zur Wahl noch ändern können. Das tun sie denn auch regelmäßig, und insofern sind Prognosen zweifellos richtig. Wenn aber schon am nächsten Wochenende gewählt würde, beteuert die demoskopische Zunft unisono und mit geschwollenem Kamm, dann würde exakt das Umfrageergebnis herauskommen. Deutschland wurde zum Aberglauben erzogen, mit Umfragen könnten exakte Momentaufnahmen erstellt werden.

Unbrauchbare Umfrageresultate

In Wirklichkeit können Demoskopen mit den Ergebnissen zur Sonntagsfrage "Welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben, wenn bereits am nächsten Sonntag gewählt würde?" nicht viel anfangen. Keiner wagt es, diese euphemistisch als Rohergebnisse bezeichneten Zahlen ungeschminkt zu veröffentlichen (welche angesichts der unvermeidbaren Fehler von bis +/- 5% wertlos sind). Diese Schminkarbeit wurde von der grand old dame der deutschen Demoskopie - Elisabeth Noelle Neumann – auf den Schild gehoben und salonfähig gemacht.

Zahlenprostitution alias Gewichtungskunst

Sie – Elisabeth N.N. und ihre demoskopischen Brustkinder - nennen das Vermarkten von gefälschten Umfrageergebnissen aber nicht Zahlenprostitution, sondern Gewichtungskunst. Damit kompensieren sie, wie sie glauben, den "Meinungsklimadruck", der auf den Befragten lastet, und nicht die eigene statistische Ahnungslosigkeit. Frau Noelle-Neumann brüstete sich öffentlich damit, ihre Rohergebnisse um bis zu zehn oder elf Prozent zurechtzubiegen, bevor sie die Öffentlichkeit damit beatmete. Wichtig sei nicht das Umfrageergebnis an sich, sondern wie sie es verändere, schwärmte sie ihr ganzes Leben lang. Der Meinungsklimadruck löse eine Schweigespirale aus, an der sie mit dem ihr eigenen Fingerspitzengefühl drehen müsse. Ihre Kunstgriffe sind ein streng gehütetes Geschäftsgeheimnis geblieben.

Die politische Stimmung hat der Meinungsforscher im Urin

Die Wirklichkeit ist anders – und ganz banal. Die politische Stimmung spürt und hat der gestandene Meinungsforscher im Urin. Publizierte Umfrageergebnisse vor Wahlen haben daher eine gewisse Ähnlichkeit mit Zustandsberichten über entzündete demoskopische Harnblasen.

Die Gewichtungskünste von Noelle Neumann sind von ihren Brustkindern verfeinert worden. Bei allen Unterschieden in der Gewichtungs-Praxis - über einem Punkt herrschte Einigkeit in der Zunft:

Geschäftsgrundlage ist die bisherige politische Stabilität

Nicht Umfrageeergebnisse, sondern Fortschreibung der letzten Wahlresultate ist das Rückgrat des Geschäftes. Das geht solange gut, wie die Wähler mitspielen. Diese Methode erklärt auch, weshalb Wahlprognosen sich wie ein Ei dem andern gleichen: Alle Demoskopen schreiben ja die gleichen Wahlresultate fort...

Wahlprognosen gleichen sich wie ein Ei dem andern...

Union SPD Grüne FDP Linke "Zahlenprostituierte" "Zuhälter" Publiziert Befragung
35 24 11 13,5 11,5 Allensbach FAZ 23.9.09 14.9.–21.9.
35 25 11 13 12 Emnid N 24 17.9.09 14.9.–16.9.
33 25 10 14 12 Forsa Stern&RTL 25.9.09 21.9.–24.9
35 26 10 14 11 Infratest-Dimap ARD 17.9.09 15.9.–17.9.
36 25 10 13 11 Forsch. Gr. Wahlen ZDF 18.9.09 15.9.–17.9.

Die Einigkeit der Zunft flößt dem unbedarften Konsumenten Vertrauen ein. Wenn unabhängige Institute fast identische Zahlen liefern, dann spräche das für deren Richtigkeit. Aber das ist ein Trugschluss. Diese Übereinstimmung ist hochgradig suspekt und für den Statistiker das untrügliche Symptom von gedokterten Zahlen: Denn der repräsentative Querschnitt - das Miniaturbild aller Wahlberechtigten - ist ein Etikettenschwindel. In Wirklichkeit werden Telefonnummern von 1000 bis 2000 Wahlberechtigten ausgelost. Würden andere ausgelost und befragt, dann kämen mit Sicherheit andere Zahlen heraus. Das kann im Extremfall für große Parteien zu Unterschieden bis +/-5% führen, für kleine bis +/-3%. Die Institute täuschen mit der Angabe von ganzen Prozentpunkten eine Genauigkeit vor, für die sie fünfzigmal mehr Wahlberechtigte befragen müssten. Doch wer soll das bezahlen...

Das Fundament für das demoskopische Gedöns ist die bisherige politische Stabilität! Das Pferd wird buchstäblich am Schwanz aufgezäumt:

Anstatt den Ausgang der nächsten Wahlen
mit der aktuellen Umfrage vorauszusagen,
wird der Ausgang der aktuellen Umfrage
mit alten Wahlergebnissen vorausgesagt!

Wer selber eine Prognose machen möchte, lese das Rezept des ZDF-Politbarometers im 7. Gebot "Wie werden Prognosen gemacht" in den Zehn Geboten für Demoskopiekonsumenten. Wer das lieber vom Spiegel lernt, konsultiere Box 18 http://www.wahlprognosen-info.de/archiv/GH_B18.htm und X. Gewichtung http://www.wahlprognosen-info.de/archiv/GH_X.htm in der umfassenden Darstellung "Der Lotteriecharakter des repräsentativen Querschnitts".

Der neueste Trend hat immer ungetrübten Horoskopcharakter

Die kolportierten Änderungen der Parteistärken von Umfrage zu Umfrage sind vollkommen fiktiv. Was sich in Wirklichkeit abspielt, weiß kein Mensch. Der von den Medien lautstark verkündete "neueste Trend" hat immer ungetrübten Horoskopcharakter und wird von den Demoskopen in alleiniger Regie festgelegt. Das ist reine Handarbeit und hat mit den veranstalteten Umfragen so gut wie nichts zu tun.

Wenn die politische Landschaft in Bewegung gerät, fallen Demoskopen mit der Fortschreibung kollektiv auf die Nase. Sie verschlafen den abfahrenden Zug, weil sie den Wecker - die tatsächlichen Ergebnisse der Umfragen - mit dem Gewichtungs-Vorschlaghammer ruhig gestellt haben.

Bankrott der Demoskopie

Mit der Fortschreibung von Wahlresultaten fallen Demoskopen heute genau so zuverlässig auf die Nase wie mit tatsächlichen Umfrageergebnissen. Das haben sie bei der BTW 2002 und 2005 schlagend bewiesen.

Bundestagswahl 18.9.05

Union SPD Grüne FDP Linke "Zahlenprostituierte" "Zuhälter" Publiziert
41 34 7 6,5 8,5 Infrates-Dimap ARD 8.9.05
41 34 7 7 8 Forsch. Gr. Wahlen ZDF 9.9.05
42 35 7 6 7 Forsa Stern&RTL 12.9.05
42 33,5 7,0 6,5 8,0 Emnid N 24 13.9.05
41,5 32,5 7,0 8,0 8,5 Allensbach FAZ 16.9.05
35,2 34,3 8,1 9,8 8,7 Wahlergebnis   18.9.05

Wer die ganze Palette von Fehlprognosen einsehen möchte, dem sei ein Ausflug zum Grabmal für die unbekannte Fehlprognose empfohlen. (http://www.wahlprognosen-info.de/fehlprognosen.htm)

Wenn die Prognose in des Demoskopen Hose geht, wird nach der Wahl jeweils ein "Meinungsumschwung" in letzter Minute als Ursache für den unverhofften Blasensturz "diagnostiziert". Anstatt der Inkontinenz vorzubeugen und vor Wahlen Windeln anzuziehen, jammern Meinungsforscher, die Wähler würden sich immer kurzfristiger entscheiden. Konsequenzen hat das weder für Demoskopen noch für ihre Zuhälter. Denn bald stehen im Lande wieder Wahlen an, wie jetzt die Bundestagswahl. Dann sind brandneue Zahlen gefragt, und nicht tropfnasse Hosen von gestern und vorgestern.

Letzte Meldung

ARD und ZDF erklären DeutschlandTrend und Politbarometer für bankrott. WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn und ZDF-Chefin Bettina Schausten zeigten sich erleichtert. Am 17. September teilte Schönenborn den ARD-Zuschauern ohne eine Miene zu verziehen folgendes mit:

"Das allerwichtigste an den Ergebnissen dieser Sonntagsfrage ist:
Es ist keine Vorhersage auf das Wahlergebnis!"

Für Taubstumme setzte er dies auch noch grafisch um

Keine Prognose

Die im DeutschlandTrend der ARD aufgetischten Zahlen zur Sonntagsfrage sind also neuerdings KEINE PROGNOSE mehr, sondern eine Seifenblase, die am 27. September auf ihr Platzen wartet.

 

Im ZDF jammerte und ruderte Bettina Schausten am 18. September händeringend:

Das Wahrzeichen und der Höhepunkt des ZDF-Politbarometers, die stolze Projektion

 

ZDF Projektion


sei nicht mehr das, was sie einst war und was der Grafiktitel immer noch verspricht: Nämlich

Zahlen für Parteistärken, wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre.

Aber dann fing sie sich und fuhr weiter als wäre nichts geschehen:

"Auch eine Woche vor der Wahl

stellt die Projektion keine Prognose für den Wahlausgang dar"

Detaillierte Information

Wer verstehen möchte, was Demoskopie leisten kann und was nicht, erfährt dies auf der Internetseite www.wahlprognosen-info.de. Wer es eilig hat und schnell verstehen möchte, warum Umfragen für Wahlprognosen in Deutschland nichts taugen können, lese die Zusammenfassung "Demoskopischen Knackpunkte".

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