V. Die Mehrheitsfrage

Ist das vielleicht ein Spezifikum einer kleinen Partei: Sind wenigstens die Zahlen für die großen Parteien verläßlich? Auch hierzu eine typische Fragestellung: Gelingt es der CDU/CSU, gemeinsam mit der FDP die Mehrheit zu erringen - ungeachtet der 5%-Problematik?

Unterstellen wir, daß 51% der abgegebenen Stimmen auf diese Parteien entfallen, also 20.400.000 Stimmzettel für sie in der Trommel sind : Wie viele der repräsentativen Querschnitte vom Umfang 1000 werden genau dieses Ergebnis liefern, also exakt 510 Stimmzettel für die Koalition enthalten? Auch diese Antwort läßt sich sowohl durch eine Berechnung mit der Binomialverteilung als auch durch Simulation finden : Lediglich 2,5% aller repräsentativen 1000er-Querschnitte enthalten genau 510 Koalitionsstimmzettel, d.h. bei häufiger Auslosung von repräsentativen Querschnitten wird durchschnittlich nur jeder vierzigste repräsentative Querschnitt einen Koalitionsanteil von 51,0% aufweisen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß ein repräsentativer Querschnitt den Wert von 51,0% liefert. Vielmehr findet man jeden Wert von 49,9% bis 52,1% in 2% bis 2,5% aller Querschnitte.

Wie man hieraus sieht, ist ein Querschnitt vom Umfang 1000 ein recht untaugliches Mittel zur Bestimmung des genauen Koalitionsanteils. Obwohl wir wissen, daß dieser 51% beträgt, werden uns die repräsentativen 1000er-Querschnitte jedes Resultat von 49,9% bis 52,1% mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von einem Vierzigstel bis einem Fünfzigstel bescheren.

Bei diesem diffusen Bild stellt sich die Frage, wie viele der repräsentativen Querschnitte vom Umfang 1000 der Koalition fälschlicherweise das Verpassen der Mehrheit prognostizieren, also maximal 499 Stimmzettel für die Koalition enthalten und damit einen Koalitionsanteil von 49,9% oder weniger vortäuschen.

Die folgende Tabelle zeigt nun die relativen Anteile der repräsentativen 1000er-Querschnitte, die Koalitionsanteile unterhalb von 50% enthalten und somit vortäuschen, daß die Koalition die absolute Mehrheit verpaßt hat, obwohl sie diese tatsächlich mit 51% der abgegebenen Stimmen erhielt. Dabei zeigt die obere Zeile die Anzahl der gefundenen Koalitionsstimmzettel und in der unteren Zeile ist der prozentuale Anteil der repräsentativen 1000er-Querschnitte mit dieser Anzahl angegeben:

499

498

497

496

495

494

493

492

491

490

2,0%

1,9%

1,8%

1,7%

1,6%

1,5%

1,4%

1,3%

1,2%

1,1%

Die Summe der unteren Zeile beträgt 15,5%. Obwohl der tatsächliche Koalitionsanteil 51% beträgt, täuschen also 15,5% aller repräsentativen Querschnitte einen Anteil zwischen 49,0% und 49,9% und damit einen Verlust der absoluten Mehrheit vor.

Zusätzlich täuschen über 7% der Querschnitte einen Koalitionsanteil zwischen 48,0% und 48,9% vor, wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht:

489

488

487

486

485

484

483

482

481

480

1,0%

1,0%

0,9%

0,8%

0,7%

0,7%

0,6%

0,5%

0,5%

0,4%

Außerdem enthalten noch fast 3% aller repräsentativen Querschnitte weniger als 480 Koalitionsstimmzettel und täuschen somit vor, daß die Koalition weniger als 48% der abgegebenen Stimmen erhalten hat.

Auf die Ausgangsfrage, wie viele der repräsentativen Querschnitte fälschlicherweise ein Verpassen der Mehrheit bei einem tatsächlichen Koalitionsanteil von 51% prophezeien, gibt es demnach folgende Antwort (siehe Tabelle "Gewinnen der absoluten Mehrheit"): 25,3%.

Jede vierte Wahlprognose muß bei diesem Wahlausgang allein aus statistischen Gründen, d.h. weil 1000 Wahlberechtigte per Lotterie ermittelt werden, zum qualitativ falschen Ergebnis kommen und den Regierungsparteien eine Wahlniederlage statt eines Sieges prophezeien.

Oder im umgekehrten Fall ("Verlieren der absoluten Mehrheit"): Bei 48% tatsächlichem Stimmenanteil kommen noch immer 10,9% der Querschnitte zu dem falschen Ergebnis, daß die Koalition die absolute Mehrheit gewonnen hätte.

Wollte man 49,9% von 50% unterscheiden können, müßte man den Umfang des Querschnitts auf über 650.000 erhöhen, und auch dann wäre noch das Ergebnis jeder zwanzigsten Umfrage falsch.

Bei 1000 Befragungen muß der wahre Stimmenanteil für eine einigermaßen verläßliche Aussage über die Mehrheit entweder unter 47,5% liegen oder über 52,5%. Im Zwischenbereich dagegen sind keine verläßlichen Aussagen möglich, wenn man wieder verlangt, daß von 20 repräsentativen Querschnitten höchstens einer zum falschen Ergebnis kommt.


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