Wuppertal. Der Countdown läuft.
Nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Die Umfrageinstitute überbieten sich
gegenseitig mit neuen Prognosen. Aber deren Zahlen, die sich selten so stark
verändert haben wie vor dieser Bundestagswahl, sind jetzt ebenfalls Gegenstand
kritischer Nachfragen geworden.
Der Wuppertaler Statistik-Professor Fritz Ulmer hält die veröffentlichten
Ergebnisse, die mal die SPD, mal die CDU vorne sehen, für "demoskopischen
Übermut". Die Genauigkeit, die die Umfragen vorgeben, sei nicht möglich:
"Die Schwankungsbereiche sind so groß, dass die Zahlen eigentlich
keinen Informationswert haben."
Seit Jahren wirft er einen äußterst kritischen Blick auf die Methoden
der Umfrageinstitute und ist überzeugt: Die meisten Prognosen beruhen nicht
auf der Sonntagsfrage, sondern "schreiben alte Wahlresultate unter Berücksichtigung
der Veränderungen in der politischen Situation und der Ergebnisse der Sonntagsfrage
fort".
Aber das ist nur ein Punkt der langen Liste von Vorwürfen, die Ulmer gegenüber
den Forschungsinstituten erhebt. Vor allem kritisiert er, dass die so genannten
Fehlertoleranzen in der Regel nicht angegeben werden. Wenn, wie üblich,
in etwa 1000 bis 1500 Personen befragt werden, ist es statistisch nicht möglich,
eine exakte Prozentzahl für alle Wähler vorherzusagen. Wenn Allensbach
37,3 Prozent für CDU/CSU voraussagt, so fehlt hier nach Ulmer die Angabe
der so genannten Fehlertoleranz: "Bei 1000 Befragten muss man von einer
Spanne von plus minus vier Prozent bei den großen und zwei Prozent bei
den kleinen Parteien ausgehen. Wenn die Anzahl der Befragten verdoppelt wird,
reduziert sich die Fehlertoleranz um 40 Prozent." In diesem Fall müsste
die korrekte Angabe also lauten: CDU/CSU liegt zwischen 33,3 und 41,3 Prozent.
In den USA seien auch die Medien inzwischen zu dieser Genauigkeit verpflichtet.
Ulmer kritisiert auch, dass unterschlagen wird, wie viele Personen die Beantwortung
der Frage verweigert haben und wie oft die ausgeloste Zielperson bei den in
der Regel telefonischen Befragungen gar nicht angetroffen wurde und ein anderes
Haushaltsmitglied geantwortet hat. Und schließlich gibt Ulmer zu bedenken:
"Wer sagt schon gerne am Telefon, dass er gar nicht zur Wahl geht?"
Am wenigsten ist seiner Meinung nach mit den Umfragewerten für die PDS
anzufangen: "In den neuen Bundesländern werden von den meisten Umfrageinstituten
durchschnittlich nur 250 Personen befragt. Davon werden zehn bis 30 Prozent
die PDS favorisieren, im Westen werden es nur null bis 2,5 Prozent sein. Es
ist lächerlich, auf dieser Grundlage für die PDS in etwa vier Prozent
aller am Sonntag abgegebenen Stimmen vorherzusagen."
Fritz Ulmer hat Informationen im Internet zusammengestellt und ein Simulationsprogramm für Wahlumfragen entwickelt.
www.wahlprognosen-info.de
Von Susanne Keil
© Westdeutsche Zeitung